1972 segelte "Walross II" als erste deutsche Yacht nach Spitzbergen. Für diese Leistung bekamen Ekhart Hahn und seine Crew den Schlimbach-Preis, die damals höchste deutsche Auszeichnung im Hochseesegeln, verliehen. Die Reise verschaffte dem ASV in der deutschen Seglerszene viel Beachtung und legte die Grundlage für den Ankauf von "Walross III" (ex "Jan Pott") im darauf folgenden Jahr.

Dies ist der Reisebericht der Crew aus dem Jahr 1972.


Vorwort

Die Spitzbergenreise war für alle, die dabei waren, ein unvergeßliches Erlebnis.

Wir haben sie mit großem persönlichem Einsatz vorbereitet und sind nun dabei, sie mit der gleichen Intensität auszuwerten. Seit Beginn ihrer Planung hat sie neben dem persönlichen Erleben im Zeichen eines größeren Zieles unseres Vereins gestanden: des neuen Seeschiffs. Wir wollten durch eine außergewöhnliche Reise auf den ASV aufmerksam machen und unseren Alten Herren einen Beweis der noch immer lebendigen und sich ständig erneuernden Idee studentischen Seesegelns geben. Über das Aktivieren der Spendenfreudigkeit unserer Alten Herren hinaus mußten wir öffentlichkeitswirksam werden, um bei der Realisierung eines so kostspieliegen Projekts weitere Finanzierungsquellen erschließen zu können.

Durch das Echo, das unsere Reise schon jetzt in Seglerkreisen, bei öffentlichen Stellen, Rundfunk und Fernsehen gefunden hat, glauben wir, in diesem Sinne bei der Schaffung günstiger Voraussetzungen mitgewirkt zu haben.

Der nachfolgende Text ist unser offizieller Reisebericht. Wem er zu trocken ist, der wird vielleicht durch unser demnächst erscheinendes, bebildertes Logbuch entschädigt. Mit unserem Film werden wir im Frühjahr die ASV-Stützpunkte aufsuchen.

Crew

  • Schiffsführer - Ekhart Hahn (29), Dipl.-Ing. C-Schein, Segelerfahrung: Ostsee, Nordsee, Atlantik
  • Steuermann - Wolfgang Vollmann (23), stud. phys. BK-Schein, Segelerfahrung: Ostsee, Nordsee, Atlantik
  • Wachführer - Hans Joachim Kolb (29), Dr. med. Sporthochseeschiffer, Segelerfahrung: Ostsee, Nordsee, Atlantik, Mittelmeer
  • Bootsmann und Funker - Claus Reichardt (26), stud. arch. Allg. Seefunksprechzeugnis, Segelerfahrung: Nordsee, Atlantik
  • Joachim Lücht (24), stud. graph. Segelerfahrung: Ostsee
  • Werner Wiborny (26), stud. rer. pol. R-Schein, Segelerfahrung: Ostsee

Idee und Schwierigkeiten der Realisierung

Die Idee zu dieser Reise kam mir 1969 am Nord-West-Kap Islands. Ich war auf einem Törn mit der ASV-Yacht „Walross II”. Bei 3 Grad Luft- und Wassertemperatur erlebte ich die vereisten, vergletscherten Felsen des NW-Kaps im Licht der Mitternachtssonne und bekam bei der klaren, kalten Luft einen ersten Eindruck arktischer Verhältnisse. Es war das kälteste Jahr des Jahrhunderts. Große Mengen Treibeis in der Dänemarkstraße sowie ein von Südwesten heranziehendes Sturmtief zwangen uns damals zur Umkehr. Es blieb ein überwältigender Eindruck und der Wunsch, mehr vom Norden und seiner Faszination kennenzulernen.

Es war nicht schwer, auch andere für dieses Ziel zu begeistern. Im Sommer 1971 waren wir bereits vier, die mit großem persönlichem Einsatz an die Verwirklichung dieses Zieles herangingen. Vor allem war es wichtig, die Zustimmung des Vereins zu diesem Unternehmen zu erlangen.

Eine Menge von Schwierigkeiten mußten bei den Vorbereitungen bedacht werden:

  • Rauheit des Klimas mit Temperaturen um den Gefrierpunkt
  • Minimum an Komfort, kein WC, Waschen an Deck
  • Sehr begrenzter Raum für Crew und Ausrüstung
  • Als Heizung ein Kohleofen, der nur bei gutem Wetter verwendbar war
  • Geringe Hilfsmöglichkeit von Außen im Notfall
  • Grundsätzliche Gefahren des Segelns am und im Eis
  • Nebelhäufigkeit (um die Bäreninsel, eins der nebelreichsten Gebiete der Erde)
  • Erschwerte Bedingungen für die Navigation (keine Wetterberichte, kein Funkfeuer)
  • Keine sehr verläßlichen Seekarten und nicht die gewohnte Ausführlichkeit in den Seehandbüchern
  • Proviant und Ausrüstung mußten mit verhältnismäßig geringen finanziellen Mitteln beschafft werden.

Erst im Januar 1972 konnte die Reise als gesichert angesehen werden. Wir starteten am 29. Mai 1972 von Cuxhaven.

Schiff und Ausrüstung

Unser Schiff war die 10,60 m lange ASV-Vereinsyacht „Walross II“. Es ist zwar ein altes, aber dennoch solides Schiff. 1.500 Arbeitsstunden mußten wir aufbringen, um "Walross" für diese Reise seeklar zu machen. Wir haben die gesamte Elektrik erneuert, das Vorschiff, in dem sich normalerweise zwei Kojen befinden, zu Stauraumzwecken und zur Installation einer Werkbank mit Schraubstock umgebaut, den Navigatorplatz umorganisiert, eine Sprechfunkanlage eingebaut und die Kombüse um den Platz der ehemaligen Hundekoje erweitert. Eine Außenhautplatte mußte erneuert, Bug- und Heckkorb verstärkt werden. Eine weitere Lenzpumpe sowie ein Echolot waren erforderlich. Im Rigg wurden Vorkehrungen für eine Mastleiter in den Topp getroffen. Im Salon installierten wir einen alten Kohlenofen. Große Sorgfalt wurde dem Motor und dem Bereich des Bootsmannes gewidmet. Wir mußten weitgehend in der Lage sein, Havarien selbst zu beseitigen, und entsprechende Materialien, Beschläge und Werkzeuge bei uns haben.

Sicherheitsausrüstung: 1 Rettungsinsel für 6 Personen mit Sonderausrüstung, 6 Spezialschwimmwesten der Bundesmarine, 7 Lifegurte, 2 Rettungsringe mit Blinklicht, 1 automatischer Seenot-Funksender, 2 Eis-äxte, 2 Feuerlöscher, diverse Raketen und Handfeuer, Notproviant, umfangreiches Reservematerial und Zusatzwerkzeug zur Beseitigung von Havarien.

Die persönliche Ausrüstung musste den Ansprüchen des dortigen Klimas gerecht werden. Viel Erprobtes konnten wir aus Armee- und Marinebeständen übernehmen. Sie leisteten uns wertvolle Dienste.

Beim Proviant erwies sich wiederum der beschränkte Stauraum als Hauptschwierigkeit. Auf Spitzbergen gibt es keine Möglichkeit, den Proviant zu ergänzen, und das kontinentale Norwegen ist sehr teuer. Wir mussten also den gesamten Proviant für die 2½ Monate aus Deutschland mitnehmen. Einen Teil der Konserven haben wir mit Hilfe des Institutes für Lebensmitteltechnik selbst hergestellt und eingedost. Etliche Firmen haben uns großzügig unterstützt. Für das sonst sehr beliebte Bier und den Schnaps blieb wenig Platz. Zwei Kisten Bier für 2½ Monate Seereise, das hat es auf „Walross“ noch nie gegeben!

Navigatorische Ausrüstung: 1 Sprechfunkgerät (GSE 30, Sender and Empfänger), 1 Einseitenbandradio, 1 Funkpeiler, 2 Sextanten, 1 Patentlog, 1 Echolot (Seafarer), 1 Handlot, 1 Handanemometer, 1 Wasserthermometer, 1 Luftthermometer, 1 Hygrometer, 1 Barograph, 1 Mehrfachwinkelmesser.

Bücher und Karten: Alle norwegischen Seekarten von Spitzbergen und der norwegischen Westküste ab Trondheim, teilweise zusätzliche deutsche Seekarten, Arctic Pilot Vol. II, das deutsche Spitzbergenhandbuch 1916 mit den Nachträgen 1926 und 1943, deutsche und englische Literatur über die Arktik.

Die Spitzbergenseekarten waren sehr brauchbar bis zur Höhe des Magdalenenfjordes. An der Nordküste ließ die Verläßlichkeit besonders bezüglich der Tiefenangaben nach. Im Svenskegatt sind wir auf einer - nach Karte - 4,5 m-Stelle auf Grund gelaufen. Ein 24 m-Flach war nicht verzeichnet. Ab Verlegenhuken gab es keine Küstenkarten mehr, sondern nur noch den Spitzbergen-Übersegler. Die Handbücher waren gut und interessant zu lesen, da sie stark auf die Geschichte Spitzbergens eingehen und vielfach Erfahrungen, Notizen und Berichte alter Segelschiffkapitäne direkt zitieren.

Wichtigste Navigationsinstrumente für uns waren: Echolot, Wasserthermometer und Sextant, letzterer sowohl zur astronomischen als auch zur terrestrischen Navigation. Sehr bewährt hat sich im Zusammenhang mit der Messung von Horizontalwinkeln der selbst konstruierte Mehrfachwinkelmesser. Der selbst gebaute Einseitenband-Empfänger, der mit dem Funkpeiler gekoppelt war, hat unsere Erwartungen nicht erfüllt, so daß wir auf diese Navigationshilfe häufig verzichten mussten.

Noch heute unerklärlich sind uns die teilweise großen Kompaßabweichungen. Wir hatten Koppelversetzungen bis zu 20 Meilen in 24 Stunden. Manchmal drehte sich der Kompass ohne erkennbaren Grund um volle 360 Grad.

Wetterberichte

Mit unserem Bordempfänger konnten wir auf der Hinreise Wetterberichte bis etwa zum 73. Breitengrad empfangen, auf der Rückreise ab Hammerfest. Wir hörten hauptsächlich die Radiostationen Norddeich und Bergen. Angeforderte Wetterbe­richte empfingen wir über Radio Bäreninsel und Isfjord Radio.

Eine Vereinbarung mit dem deutschen Forschungsschiff „Meteor“, uns in der Barentsee und im Gebiet um Spitzbergen täglich Wetterberichte zu senden, klappte nur begrenzt, da wir auf Grund ungewöhnlicher Wetterbedingungen zu einem anderen Zeitpunkt in dem fraglichen Gebiet waren als die „Meteor“.

Wetterbeobachtungen an Bord

Infolge häufig fehlender Wetterberichte des selten befahrenen Gebietes und der ungewohnten klimatischen Bedingungen mussten wir großen Wert auf eigene Wetterbeobachtungen legen. Im Abstand von vier Stunden wurden im Logbuch folgende Aufzeichnungen zum Wetter zur Zeit der Beobachtung und zum Wetterverlauf der vorangegangenen vier Stunden gemacht: Lufttemperatur, Wassertemperatur, Luftdruck, Luftdruckänderung, Luftfeuchtigkeit, Bedeckungsgrad, Bedeckungsart, Windrichtung und Windstärke. Diese für eine Segelyacht sehr gründlichen Aufzeichnungen waren uns bei der Navigation ein wichtiges Hilfsmittel.

Reiseverlauf

Kalt und ungemütlich ist es, als wir Ende Mai Cuxhaven verlassen. In dichter Folge ziehen Tiefs über uns hinweg. Die Temperaturen liegen selten über zehn Grad Celsius. Die Sonne bekommen wir während der ersten zwei Wochen kaum zu sehen. Aber wir haben Wasser unter dem Kiel und die klare Luft der See über uns. Befreit atmen wir auf, die anstrengenden letzten Wochen der Vorbereitungen liegen hinter uns.

Wie wichtig es war, sich schon lange vor Beginn der Reise seelisch und körperlich auf die besonderen Bedingungen wie Kälte, Feuchtigkeit und schweres Wetter vorzubereiten, zeigt sich an Werner, der erst fünf Tage vor Reisebeginn für ,,Opa" eingesprungen ist. Der erste Teil der Reise macht ihm schwer zu schaffen. Aber als nach zwei Wochen Wasser, Sturm und Kälte die Lofoten aus Nebel und tiefhängenden Wolken auftauchen, verwirft er den Gedanken, uns alleine weitersegeln zu lassen.

Es ist eine spannende Ansteuerung. Die Sicht beträgt weniger als ½ Meile, die Standlinien unseres nicht einwandfrei funktionierenden Funkpeilers sind nur grob, der Standort nicht sehr sicher. Dann klart es auf. Unter langsam aufsteigenden, dicken Wolken werden die kargen Felsen und steilen Hänge der Lofoten sichtbar, am Fuß vereinzelte Fischersiedlungen, weiter oben noch Schneefelder. Später dringt die Sonne durch und bringt fast sommerliche Wärme.

Svolvär, unser erster Hafen, kommt in Sicht. Unter den Duschen des Hotels werden wir wieder zu Menschen - und dann auf zum Dorftanz!

Der nächste Tag bringt harte Arbeit. Neben kleinen Überholungsarbeiten wird der Ofen montiert, Kohle gebunkert und das ganze Schiff noch einmal gründlich durchgecheckt. Zwei Tage später geht es weiter. Durch den Oyhellesund und Raftsund, mit Abstecher in den Trollfjord nach Melbu. Von dort telefonieren wir mit der Wetterstation Tromsö: Großwetterlage und Eisberichte sind günstig. Wir verlassen die Vesteralen mit Kurs europäisches Nordmeeer. Unser großes Abenteuer beginnt.

Schon am zweiten Tag bekommen wir einen Eindruck dessen, was uns bevorsteht. Bei schwerem Wetter, 4 - 6 Grad Lufttemperatur und häufig über Deck kommenden Seen müssen wir mit klammen Fingern über 20 Stunden am zerrissenen Großsegel nähen.

Das wechselhafte Wetter der nächsten Zeit wird durch festliegende Tiefs im Gebiet Island, Jan Mayen sowie einem sich ständig verstärkenden Hoch über Sibirien bestimmt. Wir liegen dazwischen.

Je weiter wir nach Norden kommen, desto gefesselter sind wir von der Dynamik und Vielfalt des Himmels. Ständiger Wechsel von Bewölkung, Windstärke und Windrichtung, plötzlich auftauender Nebel, transparente, dünne Wolken, die sich ganz plötzlich zu drohender Schwärze zusammenziehen. Doch das erwartete Unwetter kommt selten. So schnell es sich zusammenbraut, löst es sich auch wieder auf. Einmal beobachten wir eine Halo-Erscheinung.

In etwa 60 Meilen Abstand passieren wir die Bäreninsel. Wir nehmen Funkkontakt mt der dortigen Radiostation auf und lassen uns den neuesten Wetter- und Eisbericht geben. Das sibirisch-skandinavische Hoch reicht inzwischen mit einem Keil bis nach Spitzbergen. Entsprechend günstig sind Wetter- und Eisverhältnisse.

Zwei Tage später bekommen wir kräftig eins auf die Mütze. In der Nacht zum 18. Juni, Adams Geburtstag, brist es bis 7 Beaufort auf. Die See ist höher als nach der Windstärke zu erwarten. Wir spüren deutlich die lange, hohe Dünung eines wahrscheinlich über Jan Mayen liegenden Sturmtiefs. Es ist eisig kalt. Das Reffen und Segelwechseln auf dem Vorschiff dauert länger als gewohnt. Die Finger sind klamm, das Gesicht schmerzt vor Kälte. Erst um 1 Uhr morgens knallt bei tagheller Nacht der Sektkorken zu Ehren Adams. Der Versuch, den Sekt in Gläsern zu würdigen, wird uns durch eine von achtern einsteigende See versalzen.

Die Sicht verschleiert sich, je näher wir Spitzbergen kommen. Um den Gefahren der Treibeisfelder am Sörkap und Hornsund aus dem Wege zu gehen, haben wir Kurs weiter westlich abgesetzt. Die Wassertemperatur ist während der Nacht auf 2,5 Grad Celsius gefallen. Eigentlich müßte Prins Karis Forland längst in Sicht sein. Gegen Mittag klart es weiter auf. Noch immer nichts zu sehen. Die Mittagsbreite bestätigt uns, daß wir über das angesteuerte Kap bereits hinaus sind. Wir ändern Kurs genau nach Osten und messen halbstündig die Wassertemperatur. Sie steigt schnell auf über vier Grad an. Nach wenigen Stunden kommt die Küste in Sicht. Wie kam es zu dieser Westversetzung von fast 20 Meilen? Wir finden keine Erklärung, sollten ähnliches aber noch häufiger erleben. Wir waren bis dicht an das von Grönland bis hierher reichende Eis versetzt worden.

Reiseroute gesamt

Route der Spitzbergenreise

Die Eis- und Schneeküste Spitzbergens liegt vor uns! Immer deutlicher erkennen wir die gewaltigen, ins Meer abfallenden Gletscher. Der Augenblick ist überwältigend und befreiend. Und doch kommen wir uns auf unserem 11 m-Boot in diesem Moment etwas vermessen vor. Beim Einlaufen in den Kongsfjord passieren wir die ersten Eisberge. Kurz nachdem wir in Ny Alesund an der vom Eisgang demolierten Pier festgemacht haben, strandet ein Eisberg nur 50 m von uns entfernt.

Reiseroute Spitzbergenkarte

Detailkarte der Reiseroute nach Spitzbergen

Der Kongsfjord ist erst vor zwei Wochen schiffbar geworden. Nach zwei Postschiffen sind wir das dritte Schiff in diesem Jahr. Staunende Männer der Forschungsstation finden sich ein und begrüßen uns herzlich. Wir werden zum Baden in die Messe eingeladen und anschließend zum gemeinsamen Essen mit den etwa 40 hier lebenden Menschen. Sie gehören ausschließlich zum norwegischen Polarinstitut oder der ESRO-Satellitenstation. Die Krankenschwester ist die einzige Frau.

Ny Alesund ist die nördlichste Siedlung der Welt. Sie liegt am 79. Breitengrad und hat eine berühmte Tradition in der Polarforschung. Von hier starteten Amundsen und Nobile ihre Nordpolexpeditionen, viele weiteren folgten.

Mit revierkundigen Stationsangehörigen segeln wir am nächsten Tag in den noch stark vereisten Möllerfjord. Die gewaltigen Gletscher haben mehrere hundert Meter lange und bis zu 50 Meter hohe Abbruchkanten. Das Segeln zwischen Treibeis und Eisbergen erfordert große Aufmerksamkeit. Ein Fallreep, das bis in den Topp des Mastes führt, bewährt sich sehr. Von hier bestimmen wir in kritischen Situationen unseren Kurs durch das von Strom und Wind ständig in Bewegung gehaltene Eis.

Jens Angar gibt uns wichtige Hinweise für unsere spätere Fahrt zur Nordwest- und Nordküste. Erst auf der Bäreninsel erfahren wir, daß er nicht nur ein hervorragender Kenner Spitzbergens und der Arktik ist, sondern auch schon am Südpol war.

Walross II vor dem Gletscher

Walross II vor dem Gletscher

Bevor es weiter nach Norden geht, machen wir noch eine ausgiebige Skiwanderung in die Umgebung von Ny Alesund. Bordarzt Hannes muß inzwischen auf der Ersten-Hilfe-Station, dem ehemaligen Haus Amundsens, ein schon blaugrünes Furunkel an Adams linker Arschbacke operieren. Um eine längere stationäre Behandlung kommen wir zum Glück herum.

Mit vielen guten Ratschlägen und Informationen versehen brechen wir auf, nachdem wir mit der Radiostation noch einen Warndienst bei Wetterumschlag vereinbart haben.

Im Magdalenfjord und im Smeerenburgsund treffen wir auf die Spuren der alten Walfänger. Sie waren nach Barents die eigentlichen Entdecker Spitzbergens und seine Plünderer. Ihre große Zeit war zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Mehr als 15.000 Menschen jährlich wurden damals für die beiden eisfreien Monate hierher verschifft. In weniger als 30 Jahren war fast der gesamte Wal- und Walrossbestand des europäischen Nordmeeres ausgerottet. Er hat sich bis heute nicht erholt. Zu Tausenden wurden sie abgeschlachtet. Seitdem hat es nur noch wenige Menschen hierher gezogen. Viel Spaß bereiten uns die ausführlichen Berichte dieser Zeit im deutschen Seehandbuch, dessen neueste Ausgabe aus dem Jahre 1916 stammt. Auch wichtige Segelanweisungen finden wir darin, z. B. auf Seite 197: „Der Gezeitenstrom läuft bei dickem Wetter im Sörgatt so schnell, daß man besser tut zu backen und zu füllen, als zu kreuzen“.

In Björnham, einer Bucht am Sörgatt, ankern wir vor einer verlassenen Trapperhütte. Viel interessantes Gerät liegt herum. Als letzte scheint hier eine russische Expedition im Jahre 1970 kampiert zu haben. Reste von im Fels verankerten Spills und einige riesige Walwirbel erinnern an die Walfängerzeit. Plötzlich verfinstert sich der Himmel und ein Sturm zieht auf. In Böen messen wir Windgeschwindigkeiten von über 40 kn. Der Anker hält nicht. Wir stecken nach und nach unsere gesamte Kette. Trotzdem treiben wir auf die Klippen zu. Erst nach Ausbringen des zweiten Ankers können wir unsere Position halten.

Die Crew in Björnhamna

Crewfoto in der Trapperhütte von Björnham

Die Seekarten sind nicht sehr genau, was große Vorsicht gebietet. Trotzdem laufen wir im Svenskegatt auf ein Riff. Die Seekarte verzeichnet an dieser Stelle 4,5 m Wassertiefe. Nach 20 Minuten sind wir wieder frei.

Beim Ansteuern der Insel Moffen überqueren wir den 80. Breitengrad. Wir sind jetzt weniger als 600 Meilen vom Pol entfernt. Auf dem neuesten deutschen Spitzbergenübersegler steht neben Moffen die Bemerkung „kann auch aht Seemeilen weiter östlich liegen“. Wir haben einige Mühe, diese nur etwa 2 m hohe Insel zu finden. Eine große Hilfe ist uns unser selbst gebastelter Doppelwinkelmesser.

Walross II im Möllerfjord

Moffen ist bedeckt von riesigen Knochenfeldern aus der Walfängerzeit. Zu tausenden brüten Eiderenten und Möwen. Ein Rentier läuft verloren umher. Es hat wohl den Anschluss an die schmelzende Eisdecke verpasst.

Wir segeln weiter nach Nord-Aust-Land. Schon bald sinken Luft- und Wassertemperatur auf 0,5 Grad Celsius. Dann in der Hinlopenstraße plötzlich Eisblink. Wenig später ist die Packeisgrenze erreicht. Von Süden kommend zieht sie sich durch die Hinlopenstraße und schwenkt nach Nordwesten. Hier geht es endgültig nicht weiter. Bleierne, drückende Ruhe, kein Windzug, keine Bewegung, nichts, was an Leben erinnert. Der vorher klare Himmel hat sich eingetrübt. Die Sonne steht genau im Norden. Durch die Wolken schimmern düstere, verfremdete Farben, die sich in Eis und Wasser spiegeln. Eine bedrohliche, dämonische Welt, in der wir eigentlich nichts zu suchen haben. Tot, unwirtlich und menschenfeindlich. Wir kehren um. Wieder erleben wir die unglaubliche Wandlungsfähigkeit des arktischen Himmels. Schon nach wenigen Stunden klart es auf. Das Bedrohliche weicht, das Unwirtliche und Menschenfeindliche dieser Landschaft bleibt.

Wir laufen Mushamm im Woodfjord an, einen romantischen, kleinen Naturhafen mit einer nur 20 m breiten Einfahrt. Auf einer Wanderung in die Umgebung werden wir von Vögeln, deren Brutstätten wir uns unwissentlich nähern, angegriffen. Mit Stöcken wehren wir uns gegen die spuckenden und kreischenden Angreifer. Es sind Polar-Seeschwalben. Sie bauen keine Nester, sondern legen ihre Eier ohne Schutz in die Geröllhalden der Gletschermoränen. Abends wärmen wir uns am Lagerfeuer. Treibholz aus den sibirischen Wäldern liegt reichlich herum.

Lagerfeuer auf Spitzbergen

Während die Crew schlafen gegangen ist und ich mir noch etwas die Umgebung ansehe, brist der Wind kräftig auf. Als ich zurückkomme, sehe ich einen vorher ruhig liegenden Eisberg auf die enge Einfahrt zutreiben. Eilig verlassen wir Mushamm. Wenig später strandet der Eisberg dort und versperrt die Durchfahrt. Es kann Tage dauern, bis er sie wieder freigibt.

Letzte Station an der Nordküste ist Biskayerhuken. Das Wetter ist weiterhin gut. An die Kälte haben wir uns gewöhnt. Wir genießen die herrlich klare Luft. Die Sonne scheint Tag und Nacht mit fast gleicher Intensität. Mit der fehlenden Dunkelheit gibt es auch keinen festgelegten Tagesrhythmus und kaum Müdigkeit. Die Zeit ist zum Schlafen zu schade. Jeder erkundet die Umgebung auf seine Weise. Hannes und ich steigen mit Seil und Eispickel auf einen benachbarten Gletscher. Eine Schutzhütte von einer Expedition der Cambridge University finden wir von Eisbären aufgebrochen und ziemlich zerwühlt vor. Wir reparieren notdürftig und vernageln Fenster und Türen.

Um die Amsterdaminsel herum, durch den Prins-Karls-Forland Sund segeln wir in den Istjord und nach Longyearbyen. Hier machen wir einen offiziellen Ab­schiedsbesuch beim Sysselmann, dem Vertreter der norwegischen Regierung auf Spitzbergen.

Wir rüsten zur Rückreise. Ein Besuch bei den Russen in Barentsburg muß wegen schlechten Wetters gestrichen werden.

Im kalten Wasser des Ostspitzbergenstromes treffen wir am Sörkap noch einmal auf große Packeisfelder. Dann verschwinden die spitzen, eisbedeckten Berge im Dunst. Ein überwältigendes Erlebnis liegt hinter uns. Erst nach unsrer Rückkehr, beim Studium der Eiskarten des DHI, wird uns klar, welch glückliche Bedingungen wir angetroffen hatten. Zwei Wochen nachdem wir Spitzbergen verlassen hatten, lag nach einem Wetterumschwung die gesamte Nordküste wieder in dichtem Eis.

Endlich empfangen wir am Abend des 5. Juli einen Wetterbericht des deutschen Forschungsschiffes „Meteor“. Die „Meteor“ sollte zu der Zeit, in der wir uns im Seegebiet um Spitzbergen aufhielten, in der Barentssee operieren. Durch Terminverschiebungen auf beiden Seiten war dies leider das einzige Mal, daß wir einen der vereinbarten täglichen Wetterberichte empfangen konnten.

Wir steuern die Bäreninsel an, eines der nebelreichsten Gebiete der Erde. Drei Tage lang beträgt die Sicht nicht mehr als 50 - 100 m. Wir nähern uns nach Lotreihen und den Flugrichtungen der Möwen und Lummen. Erst als die Steilküste knapp 100 m vor uns in Sicht kommt, nehmen wir Funkkontakt mit der Wetter- und Radiostation auf. Ein Boot kommt uns entgegen und führt uns zu einem sicheren Ankerplatz. Wir verleben einen ausgelassenen Abend mit den Männern der Station, die kaum glauben können, dass wir mit einem so kleinen Boot hierher gekommen sind und sogar an der Nordküste Spitzbergens waren.

Zwischen der Bäreninsel und Hammerfest treten erneut große Kompassabweichungen mit Koppelversetzungen bis zu 20 Meilen pro Tag auf. Deviationskontrollen bringen uns nicht weiter, da keine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen sind. Manchmal dreht der Kompass ohne ersichtlichen Grund um volle 360 Grad.

Am 10. Juli erreichen wir Hammerfest, berühmt durch seine Fischfabriken, Nordkaptouristen und einen beachtlichen Frauenüberschuss. Wir kommen mit der Bevölkerung in recht guten Kontakt. Von Tag zu Tag fällt uns der Abschied schwerer. Es hilft alles nichts, wir müssen weiter. Bei sommerlicher Wärme segeln wir durch das Innenfahrwasser gen Süden.

Aus unserem Smut ist ein Chief Steward geworden; der Irish Coffee wird auf dem Sonnendeck auf silbernen Tabletts serviert. Ein fürstliches Leben angesichts der fantastischen nordnorwegischen Fjordiandschaft.

Im Vestfjord wird es noch einmal rauh und ungemütlich. Südsturm von 7 - 8 Bft. und Seegang 6 gegenan. 48 Stunden kämpfen wir um 50 Meilen. Der Funkpeiler ist inzwischen ganz ausgefallen. Wir müssen bei der schlechten Sicht mit jedem Schlag bis dicht an die klippenreiche Küste heransegeln, um einen vagen Standort zu erhalten. Die ungünstige Wetterlage hält noch einige Tage an, dann flaut es ab und klart auf. Fünf Stunden werden wir von einigen hundert Grindwalen begleitet. Ähnlich Tümmlern umspielen sie das Schiff, sind aber erheblich größer.

In Bergen erwartet uns bereits ein Teil der ablösenden Crew. Pünktlich am 2. August findet die Übergabe statt. Eine Reise liegt hinter uns, von der wir nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

Ekhart Hahn

Tanja-Pokal

Der Tanja-Pokal

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