„Some people will do everything for free beer” – damit machte die englische Brauerei Whitbread Werbung für die von ihr gesponserte Segelregatta rund um die Welt. Alle Crews bekamen auf jeder der vier Etappen tatsächlich so viel (Dosen-) Freibier wie gewünscht – und mit dem Regatta-Ehrgeiz jeweils vereinbar. Aber das war es nicht, was Claus Reichardt, den unermüdlichen Motor des „Rund-Welt-Projekts“, antrieb, den ASV davon zu überzeugen, nach dem Kieler ASV mit dem „Peter von Danzig“ 1973/74 nunmehr auch am „Whitbread“, wie es damals kurz hieß, teilzunehmen.

Bedingung war, dass sich eine Stammcrew findet, die gegebenenfalls das Schiff aus jeder Ecke der Welt wieder nach Hause segeln könnte – und die gemeinsam mit den anderen Crewmitgliedern die erheblichen Arbeiten (bei vielen weit mehr als 1.000 Arbeitsstunden) leisten würde. Denn hinter dem Projekt stand die Idee, das WALROSS gründlich zu sanieren und „besser als vorher“ nach der Regatta wieder abzuliefern. Und natürlich ging es darum, „für ein Leben lang persönlichkeitsprägende Erfahrungen zur Ausbildung von Charakter, Mut und Seemannschaft“ zu gewinnen, wie es in einer der Broschüren des ASV zur Vorbereitung auf das Rennen hieß.

Erste Etappe: von Portsmouth nach Kapstadt

Am 29. August 1981 starten 28 Yachten vor Portsmouth nach einem Schuss aus Lord Nelsons Kanone nach Kapstadt, dem Ziel der ersten Etappe. 29 Schiffe hatten gemeldet, die „Viva Napoli“ kam nach einer abenteuerlichen Fahrt erst in Kapstadt dazu. Eine so große und so bunt gemischte Flotte mit Yachten von 10,5 bis 23,2 Metern Länge hat es in keiner Rund-Welt-Regatta je wieder gegeben. Unser WALROSS III, eine Swan 55 der finnischen Nautor-Werft, ist mit seinem Baujahr 1971 das älteste Schiff im Rennen; es gibt vergleichbare Serienyachten, Einzelbauten, ehemalige Admirals-Cupper und nagelneue Sonderanfertigungen extra für diese Regatta – wie zum Beispiel die Siegeryacht „Flyer“.

Wir passieren Bembridge Ledge Buoy, die letzte Bahnmarke bis Kapstadt, verlassen Kanal und Biskaya, segeln an Kanaren und Kapverden vorbei und fädeln uns in den Nordost-Passat ein. Wir fahren ein Dreiwachen-System jeweils zu dritt, bei dem der Schiffer Olaf Michel auch mit Wache geht. Es wird schnell ernst. In einer Bö bergen wir den neuen Triradial-Spinnaker, auf den wir sehr stolz sind, nicht schnell genug, und er reißt an Schothorn und Liek über mehrere Meter ein: ein sehr ärgerlicher Verlust für diese Etappe, der uns auf die Stimmung schlägt. Etwas Ablenkung verschaffen uns die kleinen Schwalben, die sich erschöpft an Bord niederlassen.

Die Sonne folgt uns auf die südliche Halbkugel. Wir brauchen sie als wesentliches Navigationsgestirn, denn GPS war noch nicht bordtauglich erfunden. Wir benutzen klassisch den Sextanten für die astronomische Navigation, das nautische Jahrbuch und – sehr praktisch – die „Selected Stars“, mit denen auch in der Luftfahrt navigiert wird. Der Polarstern verschwindet langsam, das Kreuz des Südens erscheint, und der viel sternenreichere südliche Himmel beeindruckt uns immer mehr. Aber zuvor müssen die Kalmen, die berühmt-berüchtigten windarmen Zonen nördlich des Äquators, so schnell wie möglich durchfahren werden. Es ist lähmend heiß an und unter Deck, aber die zum Teil heftigen Regenböen lassen uns wachsam bleiben, und das „Süßwasser“ wird für die Körperpflege genutzt.

Wir kommen überraschend schnell voran. Jedoch lässt uns Neptun natürlich nicht tributfrei seinen größten Umfang, genannt Äquator, passieren. Die Äquatortaufe muss sein, mit viel Geschrei, schmierigen Reinigungsprozeduren im hierfür gefluteten Cockpit, und mit einem fiesen Tauftrank nach einem alten Rezept aus der Rahsegler-Zeit. Den müssen auch die beiden „Schauspieler“ trinken, die – natürlich entsprechend verkleidet – Neptun und seine Braut Thetis spielen durften, denn es war kein Crewmitglied bereits vorher über den Äquator gefahren.

Der Kurs führt uns nun in einem großen Bogen weiter weg von der afrikanischen Küste. Die globalen Windsysteme, der Nordost- und der Südwest-Passat sowie ein großes Hochdruckgebiet zwischen Kapstadt und Rio de Janeiro lassen uns gute Fahrt machen. In der täglichen Funk-„Quasselstunde“ (oder auch „Kinderstunde“) muss die Position täglich an das Race Committee gefunkt werden, was über Grenzwelle und Kurzwelle infolge der zunehmenden Entfernung zu Portishead Radio immer mühsamer wird. Wir erfahren, dass wir gar nicht schlecht im Feld liegen, dass aber bereits zwei Yachten Mastbrüche erlitten haben, darunter die „Ceramco New Zealand“ von Peter Blake, ein hoher Favorit. Ein weiterer Mastbruch sollte noch folgen, wie überhaupt die Zahl der kleineren oder größeren Havarien auf anderen Yachten uns überrascht hat. Und es ist ja erst die erste Etappe!

So nähern wir uns Kapstadt, und wir alle stellen erstaunt fest, wie man Land lange bevor man es erreicht hat bereits riechen und hören kann. Ein Frachter unter Flagge der DDR, der auf Funkanrufe nur sehr maulfaul reagiert, und ein auf ihn zuhaltender Fischtrawler mit unglaublich vielen hohen Antennen holen uns in die politische Welt zurück. Am 16. Oktober, nach 48 Seetagen, erreichen wir das Ziel in Kapstadt. Als 17. nach berechneter Zeit haben wir große Namen und Yachten hinter uns gelassen und unsere kühnsten Regattaerwartungen übertroffen.

In Kapstadt

In Kapstadt kommen wir im Seemannsheim unter, werden freundlichst betreut und können uns auf die nächste Etappe vorbereiten: das Schiff aus dem Wasser holen, Segel reparieren, Motor, Winschen und Rigg warten, Verpflegung bunkern, und Gedanken machen über den besten Kurs durch die „Roaring Fourties“ und die „Foaming Fifties“. Christian Masilge, unser Bordingenieur, konstruiert eine „Alu-Hutze“, die über das Schiebeluk des vorderen Niedergangs geschraubt wird. Viel Arbeit für die wenigen Tage, die uns bis zum nächsten Start am 31. Oktober bleiben. Ein Teil der Crew kann noch etwas tiefere Einblicke in die realpolitischen Verhältnisse im damaligen Apartheidstaat Südafrika gewinnen, die wir alle mehr oder weniger verdrängend zur Kenntnis nehmen.

Zweite Etappe: von Kapstadt nach Auckland

Mit weiter verstärkter Crew (10 statt bisher 9) fahren wir nun zwei Wachen à vier, und Smut „Opa“ Pehle und der Schiffer Ekhart Hahn können wachfrei bleiben. „Lustig segeln wir hinaus …“ am 31. Oktober 1981. Die Etappe beginnt untypisch mit schwachen Winden, doch schon am vierten Tag schlitzt ein gebrochenes Walz-Terminal der Spi-Genua den schönen Triradial-Spinnaker auf, dessen Reste mühsam unter dem Schiff hervorgezogen werden müssen. Es sollte nicht der einzige Spinnaker bleiben, der mehr oder weniger zu Bruch geht.

Der Kurs führt weiter nach Süden in die „brüllenden Vierziger“. Wir freuen uns, wie das WALROSS bei 30 bis 35 Knoten Wind mit 15 Knoten die Wellen hinabsurft. Und es gibt sie, die „Wellen wie Häuserblocks“, die „Graubärte“, deren Länge so beeindruckend ist wie ihre Höhe. Wir schaffen durchschnittliche Etmale von 195 Seemeilen in fünf Tagen. Es wird kontinuierlich kälter; die Faserpelze („Gärbeutel“) und unser (für heutige Verhältnisse eher dürftiges, aber immerhin zweilagiges) Ölzeug halten einigermaßen warm. Leider findet die See durch kleine, lästige Leckagen des Decks immer wieder Wege in die Kojen. Als die Heizung auch noch ausfällt, reduziert sich das Bordleben auf menschliche Grundbedürfnisse. Aber kleine Freuden und Opas exzellente Verköstigung wirken doppelt. Der Schiffer geht jetzt die Morgenwache (04:00 - 08:00 Uhr) mit, sodass jeweils einer der Wachgänger „Durchschläfer“ ist.

Wir freuen uns, noch Anschluss an das Feld zu halten, aber unsere älteren Spinnaker sind den Lasten nicht gewachsen. Unsere Segelgarderobe dezimiert sich deutlich. Das ausgerissene Vorliek des schweren Reachers, den wir unbedingt brauchen, können wir mit Bordmitteln und der alten Pfaff-Nähmaschine reparieren. Im Feld vor uns hat der Sturm ordentlich gewütet: die spanische „Licor 43“ hat Mastbruch erlitten. Wir sind nun in der Region der Eisberge, Luft und Wasser messen oft wenig über 0°. Ab 2° Wassertemperatur ist besonders sorgfältig nach Eisbergen Ausschau zu halten. Den ersten passieren wir am 21. Reisetag. Der Anblick des majestätischen Klotzes mit seiner Brandung macht uns ehrfürchtig.

Es gibt aber auch Tage mit wenig Wind, langem Schwell und Etmalen von gerade mal 78 Seemeilen. Vielleicht sind wir zu weit südlich? Am 23. Reisetag feiern wir auf 53°16‘ S 100°00‘ E ein rauschendes Bergfest. Danach wieder mal wenig Wind, ein Eisberg, der in der diesigen Nacht erst an den Brandungsgeräuschen zu hören ist, bevor wir ihn sehen können, und Wale in zum Teil beängstigender Nähe. Der Respekt vor den Eisbergen hält uns nicht davon ab, einen kleinen „Growler“ an Bord zu hieven, für Whisky on the rocks mit Eisberg-Eis, das geheimnisvoll knistert. Unvergleichlich … . Wir erleben Eis und Schnee an Deck, gefrorene Schoten, Segeln mit Skibrille.

Am 6. Dezember feiern wir Nikolaus: kleine Geschenke (nicht ohne persönliche Anspielungen) und Opas an Bord gebackener Christstollen verbreiten beste Stimmung, bis die Nachricht vom siebten Mastbruch kommt. Diesmal hat es die „University Belgium“ erwischt. Und bei uns hat sich das Kniespant, an dem das Pütting für das Oberwant hängt, im unteren Teil vom Rumpf abgelöst. Die möglichen Ursachen werden heftig diskutiert, jedoch ohne Lösung. Klar ist nur, dass dieser strukturelle Schaden in Neuseeland behoben werden muss. Und dafür droht die Zeit knapp zu werden. Als der Zieldurchgang von „Flyer“ und „Ceramco“ über Funk gemeldet wird, haben wir noch rund zwei Wochen zu segeln. Manche fürchten um ihre Pläne, die sie insgeheim für Neuseeland gemacht haben, aber der nächste Starttermin am zweiten Weihnachtstag steht nun mal fest.

Die Winde in der Tasman-See sind müde, und dann gibt auch noch unser Funkgerät den Geist auf. Wir können zwar noch hören, aber nicht mehr senden. Ein Seeaufklärer-Suchflugzeug hat uns aber offenbar gemeldet, denn unsere Ankunft in Auckland wird im Radio für 01:00 Uhr nachts angekündigt! Und zur Begrüßung kommt die Yacht unseres „Liaison-Officers“ John Lidgard uns entgegen, entrollt ein Spruchband „WALROSS III, guten Tag, sehr angenehm“ und reicht über unser Heck auch noch in einem Kescher frische neuseeländische Äpfel herüber. Von einer Motoryacht dröhnt „Das ist die Berliner Luft Luft Luft …“, und im Hafen nach den Zieldurchgang noch am 16. Dezember dann eine fantastische Begrüßung. Die Pier ist trotz der Nachtstunde voller Menschen, Gebrüll, Topfdeckel-Geklapper und Nebelhorn-Getute von den anderen Yachten, ein unglaubliches Erlebnis nach 47 Seetagen und rund 7.200 Seemeilen. Dass es „nur“ der 21. von 24 noch im Rennen befindlichen Yachten geworden ist, ist für uns vollkommen nebensächlich. Dankbar sinken wir nach der Party im von der Deutschen Gemeinde in Auckland spendierten Motel in die Betten.

In Auckland

Wir haben großes Glück mit unserem „Liaison Officer“ John Lidgard, der selber eine Yachtwerft hat und einen Mitarbeiter schickt, um unter Deck die Knie der Oberwanten neu zu laminieren. In den verbleibenden zehn Tagen muss noch eine Menge repariert und vorbereitet werden. Es gibt wieder viel Unterstützung und freundliche Einladungen, die uns helfen, die Spannungen der letzten Etappe innerhalb der Crew etwas abzubauen. Aber wir hören auch von anderen Crews, dass die Nerven gelegentlich blank lagen.

Dritte Etappe: von Auckland nach Mar del Plata

Mit nunmehr elf Mann starten wir am zweiten Weihnachtsfeiertag 1981 in einem schier unglaublichen Gewirr von Zuschauerbooten. Der Rundfunk spricht von 10.000 Booten und über einer halben Million Zuschauern an Land. Unter dem Lärm von Böllerschüssen, Nebelhörnern, Sirenen und Hubschraubern geht es auf die dritte Etappe. Ein Start unter Spinnaker, der Segelnation Neuseeland wird etwas geboten! Schnell wird das Wetter kühler und der Wind legt zu, je weiter südlich wir kommen. Aber die Kontinuität der Westwinddrift will sich noch nicht richtig einstellen. Es gibt Frontdurchzüge mit stark drehenden, oft sogar vorlich einfallenden Winden, die viele Segelwechsel erforderlich machen.

Statt Spinnakern setzen wir häufiger ausgebaumte Vorsegel, aber manche Naht und manche Schot halten dem nicht mehr stand. In der Funk-„Kinderstunde“ hören wir, dass es anderen noch schlimmer geht. Reihenweise werden Spinnaker zerfetzt und Spinnakerbäume geknackt. Die „Gauloises“ erleidet Mastbruch, sie dreht ab nach Norden, Richtung Tahiti. Ein Wetter-Routing gab es damals nicht. So müssen wir versuchen, anhand der alten Segelhandbücher zu entscheiden, ob wir dem Großkreiskurs folgen oder nördlicher oder noch tiefer in den Süden gehen wollen. Das ist Gegenstand heftiger Diskussionen an Bord, zumal wir im Feld auch im Vergleich zu den kleineren Yachten zurückgefallen sind.

Die Segelnähmaschine rattert unter Deck, um einen wichtigen schweren Spinnaker wieder einsatzklar zu bekommen. Trotz allem ist in den Freiwachen noch Zeit für Bastelarbeiten und Poesie wie einem „Kap-Horn-Lied“. Die Innenseiten der „Alu-Hutze“ über dem Niedergang werden mit allerlei Sprüchen verziert.

Uns begleiten nun die großartigen Albatrosse, aber zwischendurch auch immer wieder kleine Seevögel, und wir fragen uns, wie sie in diesen unwirklichen Breiten überleben können. Da erreicht uns die Nachricht, dass die spanische Yacht „Licor 43“ erneut (wie schon auf der letzten Etappe) Mastbruch erlitten hat und nun unter Notrigg weitersegeln muss. Während die „Flyer“ am 18. Januar bereits Mar del Plata erreicht hat, bereiten wir uns auf die Umrundung von Kap Hoorn vor. Die Segel werden noch einmal gründlich durchgesehen, Schwachstellen nachgenäht, die Beschläge kontrolliert. Das WALROSS surft mit 17 Knoten die Wellen hinunter.

Zwei Tage später verliert die kleine schottische Yacht „Bubblegum“ ihr Ruder und meldet außerdem Wassereinbruch, eine sehr gefährliche Situation. Wir können direkten Funkkontakt aufnehmen. Man hat das Leck einigermaßen im Griff, benötigt aber eine Seekarte vom Cockburn Channel, um unter Notruder den Weg nach Mar del Plata abzukürzen. Ein chilenisches Kriegsschiff bietet auch Hilfe an, könnte aber erst sehr viel später eintreffen. Da wir die Seekarte an Bord haben, wollen wir versuchen, die „Bubblegum“ zu erreichen und mindestens in der Nähe zu bleiben, auch um Funkrelais-Unterstützung zu leisten. Aufgrund unseres unsicheren Standorts müssen wir das Vorhaben am Abend des Folgetages aufgeben, zumal die Wettersituation sich weiter verschlechtert hat. Inzwischen hat auch die „Endurance“, ein Forschungsschiff der britischen Navy, Hilfeleistung angeboten. Wir können noch einen Funkspruch der Bubblegum an die Familie weitergeben: alle seien wohlauf, und man möge bitte ein neues Ruder bei der Werft bestellen!

Das Wetter ermöglicht weiterhin keine exakte Standortbestimmung. Auch Kurs und Richtung des Stromes sind nicht näher bekannt. Um wenigstens eine Landmarke vor Kap Hoorn zu fassen zu bekommen, sollen die markanten Islas Ildefonso angesteuert werden. Tatsächlich sind wir aber bereits zu dicht unter Land geraten und sehen eine kleinere Inselgruppe an Steuerbord, wo sie überhaupt nicht hingehört. Gegen den in diesem Moment noch auf Bft. 8-9 aufdrehenden Sturm müssen wir uns äußerst mühsam freikreuzen. Inmitten dieses Chaos spielen Seehunde, sie springen wie Tümmler aus dem Wasser und haben eine Wahnsinnsfreude. Alle Manöver klappen, und nach fünf Stunden können wir auf neuen Kurs abfallen. Das Speedometer ist immer wieder bei 18 Knoten am Anschlag. Das Großsegel ist dreifach gerefft, die kleine Fock ausgebaumt.

Noch ca. 60 Seemeilen bis Kap Hoorn, das schließlich am 23. Januar 1982 um 02:29 Uhr Nord peilt. Damit haben wir diese „Bahnmarke“ gerundet! Uns kommen Gedanken an die alten Rahsegler, die unter ganz anderen Bedingungen um das Kap kämpfen mussten. Nach einer Begrüßung durch einen qualmenden alten argentinischen Zerstörer „Piedra Buena“ zeigt unser Kurs nach Passieren der Le Maire-Straße zwischen Argentinien und den Falklands endlich Nord. Langsam baut sich die große Spannung ab, nicht ohne kleine Anlässe als Ventile zu nutzen, die die Stimmung in der Crew belasten. Spontan erfundene Bord-Zeitungen, die einen Pressekrieg entfachen, lenken ab und bringen die Heiterkeit zurück. Die restlichen Meilen sind fordernd. Seenebel, gleichzeitig mühsames Kreuzen entlang der Küste – und der legendäre Smut „Opa“ Pehle kreiert köstliche Pralinen, die nach dem Zieldurchgang in Mar del Plata am 2. Februar 1982 das Race Committee in ungläubiges Staunen versetzen. Für die „Bubblegum“-Aktion bekommen wir vom Race Committee 10 Stunden gutgeschrieben. Wir sind 18. von 21 im Rennen verbliebenen Yachten geworden.

Landurlaub in Argentinien

In Argentinien sollte uns etwas mehr Zeit gegönnt sein, uns zu erholen, etwas vom Land zu sehen und das Schiff für die letzte Etappe vorzubereiten. Wir haben ein nettes kleines Quartier „Casa Walross“ gemietet, die Liegeplätze im Hafen sind auch nicht besonders schön, und von der „Regata Vuelta al Mundo“ nimmt hier kaum jemand Notiz. Der örtliche Lufthansa-Chef hilft uns mit Kontakten zu örtlichen Schlossern, die einige Metallarbeiten erledigen (Relingsstützen, Beschläge). Die Segel können an Land auf dem Rasen vor den Liegeplätzen mit der Pfaff-Maschine genäht werden. Es gibt ausgelassene Bordfeste auf den Yachten. Alle sind offenbar froh, die Kap Hoorn-Etappe hinter sich zu haben. Und wir können auch einmal ein paar Tage Auszeit voneinander nehmen und in Gruppen zu verschiedenen touristischen Zielen in Argentinien starten, zu den Wasserfällen von Iguazú, in die Sierra de la Ventana, nach Buenos Aires. Gemeinsam werden wir zu einem Besuch auf einer beeindruckenden Estanzia eingeladen und genießen dort ein köstliches Asado. Es kommt tatsächlich so etwas wie entspannte Ferienstimmung auf.

Vierte Etappe: von Mar del Plata nach Portsmouth

Aus Berlin sind Anke Schulz und Gisela Bunck gekommen, und Claus Reichardt als neuer Schiffer. Der „spiritus rector“ des ganzen Projekts darf nun auf der letzten Etappe das WALROSS nach Hause führen. Einmal mehr nehmen wir nach dem Start am 27. Februar 1982 das alte „Segelhandbuch für den atlantischen Ozean“ aus Kaisers Zeiten zur Hand, um möglichst schnell durch die Mallungen, die „Doldrums“ zu kommen und uns in den Nordost-Passat einzufädeln. Das bedeutet allerdings hunderte von Seemeilen hoch am Wind zu segeln, wofür wir aber ein neues, hochgeschnittenes Vorsegel nach Argentinien geschickt bekommen, den „Yankee“, der sich sehr bewähren sollte.

Wir kommen gut voran. Der sorgfältige Gewichtstrimm (wir fahren jetzt auch Segel auf der hohen Kante an Deck) wirkt sich positiv aus. Der Funkkontakt in die Heimat gelingt jetzt wieder besser – aber die Frage: „Habt’a die englische Flotte jeseh’n?“ können wir nur mit „negative“ beantworten. Der Falklandkrieg ist ausgebrochen, aber die englische Flotte braucht sich nicht um das Azorenhoch zu kümmern und kann den direkten Weg nehmen. Ungeachtet dessen fordert Neptun von den „Neulingen“ wiederum seinen Tribut. Der Watte-Rauschebart Neptun hat außer seiner Gemahlin Thetis im Segelsack-Kleid mit Pampelmusenhälften-Bikini auch den frechen tätowierten Sohn Triton mitgebracht, und es gibt zur "Reinigung" der Erdenwürmer wieder eine zünftig-schmierige Taufzeremonie. Wir lernen, dass die fliegenden Fische, deren Flug unser Großsegel abrupt beendet hat, nicht besonders gut schmecken, und rätseln über die Lage des Azorenhochs. Auch der Funkverkehr mit verschiedenen Frachtern, in den sich sogar ein Lufthansa-Flug 561 Lagos-Frankfurt einmischt („Wo wir sind, kommt Ihr nie hin!“), bringt uns nicht viel weiter bei der Frage, wann endlich Nordostkurs abgesetzt werden kann.

Am 30. März 1982, nach 15 Tagen segeln auf Backbordbug, kommt die ersehnte „Wende aller Wenden“: großes Geklapper unter Deck; es dauert lange, bis sich alles auf dem neuen Bug wieder richtig eingeklötert hat. Der Polarstern ist wieder aufgetaucht, das Azorenhoch verschafft uns aufregendes Spinnaker-Segeln, nicht ohne Sonnenschüsse. Sogar der Aufkleber an der Nock des Großbaums „Baum ab nein danke“ bekommt seine Bewährungsproben, wenn wir ihn bei starker Krängung in Lee durchs Wasser ziehen. Ein kurzes Längsseits-Manöver mit dem Dampfer „Alchimist Flensburg“ verschafft dessen Crew einen Laib frischgebackenen Brotes aus der WALROSS-Bordbäckerei und uns im Tausch fünf Schachteln Flüssigbrot einer norddeutschen Brauerei und eine Stange Zigaretten. Und schon trennen sich die Wege wieder, wir sind ja schließlich auf einer Regatta!

Über Funk häufen sich nun die Meldungen der Yachten, die bereits durchs Ziel gegangen sind oder kurz davor stehen. Aber es gibt auch noch dramatische Nachrichten wie die vom Mastbruch auf der „FCF Challenger“, der größten Yacht im Rennen. Unsere Ungeduld und Spannung vor dem Zieldurchgang wird noch einmal auf eine harte Probe gestellt, als der Wind kurz nach den Needles im Solent einschläft und uns die Tide sogar noch zu einem Ankermanöver zwingt. Mühsames Kreuzen, um den letzten Wind und den Neerstrom so gut es geht auszunutzen, es wird der 14. April 1982. Dann kentert der Strom, und nun geht es flott um die letzte Bahnmarke, nur noch eine halbe Meile. Trotzdem setzen wir den großen Triradial-Spinnaker und fahren mit dem Spi über die Ziellinie. Ein donnernder Kanonenschuss von der Signalstation, und durch unseren Jubel dringt Admiral Williams' Megaphon: „Well done, WALROSS“!

Eine kurze Dusche, Einkauf der Zutaten für „ham and eggs“, ein Pub-Besuch, und mit der Tide früh am nächsten Morgen laufen wir in Richtung Helgoland und Cuxhaven aus, wo uns ein großartiger Empfang bereitet wird. Viele ASVer und Familien sind gekommen, der große Saal-Stander und ein freches Transparent werden geschwungen, Böller und Fanfaren, und auf dem Steg steht das aus Berlin extra mitgenommen Klavier, aus dem „das Lied“ erklingt: „Lustig segeln wir hinaus, hoijoho, ... ". Wir sind jetzt aber alle erst mal angekommen!

Nachtrag

„When there’s brewing up a storm – grab a Whitbread” – so lautet ein weiterer der Sprüche der Sponsoren-Brauerei. Dass das auch noch 40 Jahre nach dem Start funktioniert, hat uns Opa Pehle gezeigt, der einige der Original – Bierdosen (gefüllt!) aufbewahrt hatte. Wir haben sie anlässlich des 40-jährigen Start-Jubiläums im ASV geöffnet und getrunken: es schmeckte „wie damals“!

Statistische Daten

Der Kurs: vier Etappen Portsmouth – Kapstadt – Mar-del-Plata – Portsmouth; insgesamt mit An- und Rückreise rd. 27.000 sm, ca. 6.000 - 7.200 sm pro Etappe; 29 Teilnehmer am Start.

Die Etappen

29.08.-16.10.1981 – 48 Tage – Portsmouth bis Kapstadt, 7.010 sm
31.10.-16.12.1981 – 47 Tage – Kapstadt bis Auckland, 7.200 sm
26.12.-02.02.1982 – 38 Tage – Auckland bis Mar del Plata, 6.030 sm
27.02.-14.04.1982 – 46 Tage – Mar del Plata bis Portsmouth, 6.150 sm

Summen: 179 Tage 26.390 sm
(sm jeweils offizielle Angaben; vgl. Bernard Moitessier 1969: 301 Tage nonstop)
= Durchschnitt 150 sm Etmal, 6,3 kn.; bester Durchschnitt in fünf Tagen 195 sm = 979 sm bei 8,2 kn.
(vgl. Siegeryacht „Flyer“: 120 Tag = Durchschnitt 225 sm Etmal, 9,3 kn.)

Die Platzierungen von Walross III

1. Etappe 17. (23.) Platz von 29; zwei Aufgaben
2. Etappe 21. (22.) Platz von 24; zwei weitere Aufgaben, insges. 3 dns
3. Etappe 18. (19.) Platz von 21; zwei weitere Aufgaben, insges. 6 dns
4. Etappe 19. (19.) Platz von 22; insges. 7 dns

(dns = did not start; Ergebnisse berechnete Zeit, in Klammern = gesegelte Zeit)

= insgesamt: 18. (19.) von 20 Teilnehmern, die alle Etappen mitgesegelt sind und deshalb gewertet worden sind. 23 Yachten haben 3 Etappen, 25 zwei Etappen und 27 eine Etappe beendet, 29 Yachten sind gestartet.

Weitere Veröffentlichungen

Fünf Jahrzehnte über die Ozeane: Zur Geschichte des Ocean Race (Die YACHT, 10. Januar 2023)

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