Endlich startet die aufregendste Etappe der diesjährigen Seereisensaison: die Überfahrt von Norwegen nach Island. Gemäß dem Motto: Italien im Juli kann jeder. Nordatlantik muss man wollen! stehen wir voller Vorfreude am BER und beobachten Pauschaltouristen beim Check-In, die in Sandalen ihren Südeuropa-Urlaubszielen entgegenfiebern. Zeitgleich versuchen wir, unser gefüttertes Ölzeug als Handgepäck zu deklarieren. Der Kontrast könnte kaum größer sein.
Unsere Seereise beginnt nicht nur am Samstag des Berliner Sommerferienstartes, sondern direkt auch mit einem globalen Microsoft IT-Ausfall. Trotz dieses Umstandes trifft die Crew gleichzeitig in Bodö ein, obwohl zwischen unseren Abflugzeiten teilweise sechs Stunden liegen. Dennoch sind wir in erster Linie dankbar, dass wir überhaupt abheben und ankommen.
Vielleicht sollten wir uns an dieser Stelle noch kurz vorstellen: Wir sind: Neun Seelen, 29 Stück Käse im Kühlschrank und ein pinker Tut-Hahn. Wir sind unbesiegbar!
Von unserem ersten Etappenziel trennen uns 836,59 Seemeilen und neun Einkaufswagen voller Lebensmittel, die es noch an Bord zu bringen gilt. Zum Abend hin stehen mehr Einkaufswagen am Pier neben Walross 4 als im Supermarkt. Wir bringen diese gewissenhaft wieder in den Supermarkt zurück, führen die obligatorische Sicherheitseinweisung durch und starten segelnd nach Landegode in unser Segelvergnügen. Dort angekommen, finden wir eine wunderschöne Ankerbucht und diskutieren ausführlichst die Vor- und Nachteile von weißen Peilobjekten auf weißen Steinformationen. Nach einer hellen, aber auch kalten Ankerwache geht es auf zu den Lofoten, auf denen wir die noch restliche Crew einsammeln.
Auf den Lofoten finalisieren wir unsere letzten Vorbereitungen für die Überfahrt. Neben einem ausführlichen Riggcheck reinigen wir noch einmal das gesamte Dieselschapp und entlüften das Frischwassersystem mehrfach.
Zusätzlich beschäftigt sich die Schiffsführung mit Orakeln der Wetterlage für unsere Überfahrt. Es werden diverse Wetterdatensätze interpretiert sowie interpoliert und ein geeigneter polarer Geschwingskeitsprozentsatz ausgewählt, der die Segelperformance der Crew am ehesten widerspiegelt. Zusätzlich werden Vulkanaktivitäten und Eisgrenzen kontrolliert – halt typische Vorbereitungen für einen Sommerurlaub.
Die Schiffsführung legt final ein gutes Zeitfenster fest, das uns ermöglicht, noch vor einem Sturmtief in Island anzukommen. Vier Stunden vor Abfahrt entdeckt die Steuerfrau allerdings ein neues Randtief mit 35kn Grundwind, das sich uns in den Weg zu stellen scheint. Alles umplanen? Nö! Wir entscheiden uns, erst einmal zum Dieselbunkern nach Vaeroy zu fahren und die frischen Wetterdaten nach 18:00 UTC zu empfangen. In der Zwischenzeit löst sich das Randtief wieder auf. Also Abfahrt und einfach losfahren!
Der Abend wird von einem Abendgebet/ Hip-Hop-Wrap von Peter stilvoll abgerundet:
Ich cruise W4, nicer Salat.
All’ meine Homies sind hier am Start.
Schiffer im Cockpit, Blick auf Lofoten.
Alkohol und Drogen, leider verboten.
Anmerkung: Später tauchte das Randtief wieder in den Navtex-Nachrichten auf, aber mit Zugrichtung auf die Lofoten, später dann doch nach Oslo. Sprich, alles richtig gemacht.
Das Wetter ist uns sehr gnädig und beschert uns Raumwindsegeln mit viel Sonne. Wir starten mit Code 1 und nicht gleich dem Spi, um uns an den Seegang und das Wachsystem zu gewöhnen. Um einen psychologisch wertvollen Effekt auf die Crew zu erwirken, werden die Routings mit 70% Segelperformance berechnet, so dass wir stetig mit ein paar Stunden Vorsprung das Routing fahren. Wie schon erwähnt: dies diente nur dem psychologischen Effekt, da die tatsächliche Segelperformance dieser Crew natürlich eher bei 97,5% einzustufen ist. Mit im Schnitt 5kn mehr Wind als vorhergesagt, gleitet Walross 4 durch den Nordatlantik.
Wir sondieren das letzte Mal die Vorräte im Aldi und Kühlschrank und stellen mit Beruhigung fest, dass die Anzahl der Käsestücke noch bei 25 liegt. Im Laufe der Seereise werden wir noch viele Male debattieren, ob die Anzahl der Käsestücke gerechtfertigt ist.
Dieser Tag startet mit dem ersten Manöver, seitdem wir die Lofoten verlassen haben. Die Besprechung des Ablaufes des Abbauens des Bullenstanders artet in eine allgemeine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Bullenstandern aus und wir stellen lachend fest, dass das A in ASV für Außergewöhnliche Gesprächsbereitschaft steht.
Eine Stunde später ist die längste Halse der Welt fertig gesegelt. Da das Wetter uns gewogen ist und wir kaum Welle haben, gönnen wir uns den Luxus des außergewöhnlich guten Kochens. Ein 3-Gänge Menü sorgt für einen fröhlichen Wachwechsel zur besten Tageszeit. Natürlich bleibt ein ebenso ausführlicher Abwasch nicht aus.
Die Tatsache, dass wir uns stetig Island nähern, merken wir an der stetig fallenden Außentemperatur. Die Anzahl an Schichten, die wir uns anziehen, steigt - und damit auch das Bedürfnis, die Heizung auszutesten. Am Abend des dritten Tages ist es soweit und wir schmeißen die Heizung an. Innerhalb einer halben Stunde strömt eine wohlige Wärme durch W4 und wärmt unser nasses und kaltes Ölzeug. Das Leben könnte kaum besser sein.
Der dritte Tag auf See endet mit der Sichtung des ersten schwimmenden Objektes auf dem Plotter: einem Fischer, in 12 Seemeilen Abstand irgendwo im dichten Nebel versteckt. Da wir ein Ausbildungsverein sind, lassen wir es uns nicht nehmen, schmeißen den Radar an und tracken die Fahrt des Fischers. Sicher bringen uns die Navigisten auch durch diese nicht-dunkel werdende Nacht.
Nach einem weiteren Tag auf See sehen einige von uns (angeblich) den ersten Meeresbewohner. Und zwar keinen Fischer, keinen Frachter, kein Militärschiff, geschweige denn einen anderen Segler, sondern einen Orca - oder besser gesagt Anzeichen von Orcas. Die Anzeichen von Orcas werden wie folgt durch die sichtende Person beschrieben: eine Flosse, diverse Luftblasen an der Wasseroberfläche und die Luftblasen umkreisenden Möwen, genauer gesagt Eissturmvögel. Man möge dieser Beschreibung Glauben schenken – oder eben auch nicht.
Ferner werden erste Gedichtzeilen entwickelt, die es unter Umständen irgendwann in den Seereisebericht schaffen könnten. Hier eine kleine Kostprobe:
„Huch, die Wellen werden immer mehr,
Island, wir freuen uns schon sehr!“
Rest des Gedichtes ist noch work in progress.
Aber wie, liebe Lesende, solltet ihr euch unseren typischen 4. Tag auf See eigentlich vorstellen? Hier eine kleine Beschreibung: Die Crew schläft, isst, putzt sich die Zähne oder ist am Ruder. Und was macht so'n Schiffer den ganzen Tag? Dieser schwingt den Putzlappen, liest der Wachcrew aus dem Buch Hitchhiker’s Guide to the Galaxy vor, hilft beim An- und Ausziehen von Schwimmwesten oder beantwortet geduldig zum x-ten Mal Basic-Segelfragen.
Mittags umgibt uns ein unwirklich schönes Licht, das durch die sich kontinuierlich durch die Nebelbänke arbeitende Sonne erzeugt wird. Die Sonne taucht das uns umgebende Wasser in einen sanft gelben Farbton.
Nicht nur auf das umliegende Wasser bewirkt die Sonne wahre Wunder, sondern auch auf die umliegende Crew: Es werden ausgiebige Pläne geschmiedet, wie die ersten 24h nach Ankunft in Island verbracht werden könnten. Die Ideensammlung reicht von einem Besuch wärmender Außenpools über Hot Springs, über Infinity Pools bis hin zu selbst ausgebuddelten Erdlöchern am Strand, aus denen dann warmes Wasser rausspringen soll.
Angesichts der eher flauen Windstärken bricht zum Abend hin wieder der W4-Debattierklub aus. Es werden Umsetzungskonzepte der gewaltfreien Kommunikation entwickelt, die auch bei 30m Welle und 500 Beaufort praxistauglich sein sollten. Diese äußerst politisch heiße Luft geht nahtlos in eine Geruchs- und Feuchtigkeitstuchbeschuldigungsdebatte über, die sich allerdings schnell als haltlos entpuppt, so dass wir beschließen, uns doch lieber über die pinken Socken auf der Back sowie die Segeladiletten der Steuerfrau zu unterhalten. Während der Debattierklub langsam seinen Höhepunkt erreicht, werden unermüdlich Ketchup-Senf-Käseboote aus dem Ofen gereicht, und Schalen mit selbstgemachtem Apfel-Birnen-Kompott verfeinert mit Zimt und Kardamom wechseln die Besitzer.
Zur fortgeschritten Uhrzeit steht eigentlich noch die Schwerwettervorbereitung aus. Die barfuß laufende Crew rollt eher mit den Augen bei dieser Aufgabe. Navtex meldet ein Sturmtief, das auf uns ziehen könnte. Aber seien wir mal ehrlich: Wenn es einfach nicht dunkel wird, man in sechs Stunden lediglich 30 Seemeilen zurücklegt, wir uns zwischenzeitlich fragen, ob uns der Strom nicht eher rückwärts treiben lässt, ist es wirklich schwer vorstellbar, dass uns noch eine Nacht mit 20kn-30kn raumen Wind bevorsteht.
Ein neon-bunter Regenbogen zieht sich über den gesamten Himmel, als wir nach fünf Tagen auf See das erste Mal Land sehen. Von aufgedrehten Delphinen und tollpatschigen Papageientauchern begleitet, begrüßt uns Island von seiner schönsten Seite. Wir sind sehr glücklich und froh, tolle Tage auf See verbracht und die Überfahrt mit links gewuppt zu haben. Der Mannschaft, dem Seeschiff und dem Käse im Kühlschrank geht es bestens. Wir waren ja auch unbesiegbar!
Während wir noch unseren Zielfjord anlaufen, nutzen wir das Wetter, um die neue Drohne des AOMs unseres Vertrauens auszuprobieren. Wir schaffen Bilder für die Unendlichkeit – oder, bescheidener formuliert, für eine gelungene ASV-Werbekampagne.
Ein paar Stunden später legen wir in Husavik an und werden durch freundliche, aber isländisch distanzierte Zollbeamte zum Einklarieren des W4 begrüßt. Nachdem alle Formalitäten erledigt sind, kommen endlich die wohlverdienten Sundowner aus dem Flaschenschapp aufs Deck und in unsere Mägen. Bei Sonne und 22°C schmieden wir Pläne, wie wir den restlichen Tag ausfüllen. Schnell ist klar, dass wir die legendären isländischen Hot Tubs ausprobieren möchten, und verbringen den Rest des Tages im Whirlpool oder auf der Rutsche oder beim Sonnen und beim Duschen!
Die aufregendste Etappe der diesjährigen Seereisensession ist beendet und nun geht es weiter nach Reykjavik.
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