Geschrieben von am 3. August 2023

Nach der ersten Vorbereitungswoche, die durch letzte Optimierungsmimiken und trockengeübten Spihalsen gekennzeichnet war, fühlten sich Schiff und Crew von "Walross 4" bereit für das Fastnet Race 2023. Die Wettervorhersage war deftig: 30 Knoten Grundwind zum Start und Böen bis 40 Knoten über die gesamten ersten 24 Stunden.

Die Schiffsführung entschied sich einstimmig nach einem tiefen Blick in die Augen – und auch ins Bauchgefühl –, bei dieser Regatta zu starten. Das Vertrauen in das Schiff und die Crew war zu 120% da. Der Plan sah vor, im zweiten Reff mit G4 zu starten und am Ausgang der Needles auf die Fock zu wechseln.

Nach einer letzten Mütze Schlaf konnten wir von unserem Liegeplatz an der Mooring alle Schiffe der Regatta im Solent beobachten. Die großen Multihulls und Oceanracer boten einen beeindruckenden Anblick und lenkten die Crew von der langsam steigenden Anspannung vor dem Start gekonnt ab. Vielleicht manchmal auch etwas zu sehr. Nachdem jeder seine persönliche Vorbereitung abschloss, zeisten wir das für den kommenden Tag und die kommende Nacht liebevoll vorbereitete Curry auf dem Herd bei, verstauten Wasserflaschen an Deck und kochten das letzte warme Wasser. Die 50. Edition des Fastnet konnte kommen!

Start

Zum Startschuss der goldenen Kanonen gingen wir und 48 weitere Schiffe über die Startlinie vor dem RORC. Das zweite Reff war eine gute Entscheidung, und so kreuzten wir zu den Needles hoch. Dort angekommen kamen uns bereits die ersten Schiffe entgegen, die beschlossen hatten, auf Grund der harten Wetterbedingungen das Rennen abzubrechen. Dies verstärkte unseren Adrenalinspiegel, und wir konzentrierten uns nur noch mehr auf ein fokussiertes Segeln.

An den Needles angekommen, stand der geplante Wechsel auf die Fock an. Die Wellenhöhe hatte dort bereits drei Meter erreicht, weshalb das Vorschiff samt Crew im Sekundentakt untergetunkt wurde. Die Crew litt bei einer vier Meter hohen kabbeligen Welle außerhalb der Needles stark an Seekrankheit. Wir stampften mit neun bis zehn Knoten Richtung Lands End. Trotz der höchsten getroffenen Sicherheitsmaßnahmen unter Deck rummste es mitten in der Nacht kräftig. Der Currytopf samt Teilen des Herds flogen einmal quer durchs Schiff. Dem Teil der Crew, der noch nicht an Seekrankheit litt, wurde die glorreiche Aufgabe zuteil, das Curry bei Dunkelheit und Krängung aus allen Ecken und Ritzen des Schiffes zu entfernen, bei gleichzeitigem Anreichen von frischen Pützen und Kotztüten. "Ohne Curryklemme kann das ja gar nicht halten!" kommentierte ein Crew-Mitglied, als es nur kurz den Kopf aus der Pütz hob.

Mit einer halbsauberen Bilge rasten wir weiter durch die Nacht, bis der Ausruf "Wir haben Seewasser in der Bilge!" an und unter Deck zu hören war. Während die wachfreie Crew zum wiederholten Mal in die Bilge stieg, um das Leck zu suchen, versuchte die Deckscrew, das Schiff mit voller Fahrt von 18 Knoten auf Kurs zu halten. Der Ausruf des Schiffers hatte zumindest kurzzeitig einige Seekranke geheilt, und es fanden sich genung Hände zum Lenzen. Nach einer engagierten Inspektion der Rumpfdurchbrüche identifizierten wir das Mastloch im Deck und die Öffnung des Niedergangs als Quelle des eindringenden Salzwassers.

Distress im Regattafeld

All diese Tätigkeiten wurden vom konstanten Geräusch des Funkverkehrs auf Kanal 16 begleitet. Ein Distress-Alarm nach dem anderen belegte die schwierigen Bedingungen im Regattafeld. Neben einem sinkenden Schiff bei den Needles erfuhren wir von strukturellen Schäden und verletzter Crew bei unseren Konkurrenten. Wir begriffen, dass der Spielraum für Fehler schmaler wurde. Die Solent Coastguard hatte alle Hände voll zu tun, die eintreffenden Meldungen mit einer stoischen Ruhe und Strukturiertheit abzuarbeiten. Die Stimme von Solent Coastguard wog Teile der Crew schließlich in den Schlaf – und erinnerte uns dankbar an die Existenz dieses freiwilligen Einsatzes von Coastguards weltweit.

Während der gesamten Nacht pendelte die Schiffsführung auch in der Freiwache von Koje zum Funkgerät. Das Dauerpiepen des Funkgeräts erinnerte freundlich an die vorherrschenden Bedingungen. Die dauernde Aufnahme der Meldungen und Abwägung, ob und wie wir helfen könnten, belasteten dabei zusätzlich.

Am Ende spiegelte sich der Ernst der Nacht in verlorener Sicherheitsausrüstung, diversen Verletzungen, Mastbrüchen, strukturellen Schäden und einer aufgegebenen Yacht wieder. Der professionelle Umgang von Solent Coastguard und des RNLI vermittelten uns letztendlich das Gefühl, dass wir nicht alleine durch die Nacht fuhren, während von anderen teilnehmenden Yachten mitunter wenig zu hören war.

"Walross" schlug sich gut, und wir schafften es, mit dem Strom Portland Bill zu passieren und Abdeckung zu finden. Das Wetter am zweiten Tag des Rennens beruhigte sich zunehmends. Schließlich ergriffen wir die Möglichkeit, die Segelfläche zu vergrößern. Die Crew nutzte die einkehrende Ruhe im Schiff, um das gesamte Ölzeug in der Sonne zu trocknen und eine erste warme Mahlzeit einzunehmen. Der Ausruf "Delfine!" hallte zum ersten Mal über das Deck, doch die Crew war noch zu müde, um Unterschiede zwischen Delfin und Tümmler zu erkennen.

Nach einigen Stunden riss der Ausruf des Rudergängers "Oh nein, Strömungsabriss!... Oh nein!... Halse!... Achtung Halse, rund achtern!" die konzentriert steuernde Wache aus ihrem Tunnel heraus. Schnell riggten wir die Notpinne und führten fachmännisch eine Wende ohne Pinne durch. Währenddessen identifizierte und reparierte der seefeste Steuermann das lose Steuerseil, das zum unkontrollierten Einschlagen des Ruderblattes führte. Amüsiert stellten wir fest, dass die Erklärung dieses Notmanövers länger gedauert hatte als die gerade durchgeführte Anwendung.

Auf dem Weg zum Fastnet Rock

Nachdem wir die irische See bei leichten Winden unter Code Zero querten, nutzten wir die Gelegenheit, am dritten Tag den heiß geliebten Bärchen-Spi zu setzen. Unter Spi steuerten wir maximal hoch am Wind die letzen Meilen zum "Rock"! Bei sonnigem Wetter und achterlichen Winden beobachteten wir, wie aus einem Punkt am Horizont langsam ein Fels mit Leuchtturm wurde, der in seiner Form bereits von zahlreichen Erzählungen und Fotografien bekannt ist. Die vor uns größer werdende Bahnmarke, der namensgebende Fastnet Rock, sorgte bei der Crew für ausgelassene Stimmung. Die Frage, ob der Champagner denn schon kaltgestellt sei, häufte sich entsprechend.

Kurz vor Rundung des Fastnet Rocks begann der designierte On-Board-Reporter zu rotieren, um diesen ersehnten Augenblick fotografisch einzufangen. Nach wenigen Minuten war die Rundung leider auch wieder vorbei, und wir köpften den Champagner. Der Schiffer bedankte sich mit einer kurzen Ansprache bei der Crew für die bisherige Reise und die gute Seemannschaft. Während wir weiter segelten, verschwand der Fels langsam achteraus, bis er vollends mit dem Horizont verschmolz - al niente.

Happy Birthday

Die Nachtwache befasste sich mit der Aufgabe, pünklich zum Wachwechsel das Schiff geburtstagsklar zu gestalten. Bei Rotlicht wurde die "Happy Birthday"-Girlande unter einem Dinosaurierballon im Salon setzeklar gemacht. Ein nächtlicher Happy-Birthday-Song trieb dem immer noch jüngsten Crewmitglied die Tränen in die Augen. Bei Tag vertilgten wir den Apfelkuchen samt sehr beliebter Sprühsahne. Vollgestärkt und hochmotiviert brauste die Crew auch nachts unter vollem Groß und G4 mit achterlichen Winden und 20 Knoten die Wellen herunter in Richtung Ziel. Die Nacht war navigatorisch und für die Steuerleute sehr anspruchsvoll, weswegen wir auf einen halbstündigen Wechsel am Rohr übergingen.

Bei Tagesanbruch und einem Routine-Rigg- und Segelcheck schallte der Ausruf "Die Spreaderbar ist gebrochen!" durch das Schiff. Nicht nur der Bowman, der gerade seine Freiwache unter Deck genoss, dachte sich "Das ist doch nicht euer Ernst!". Kurzerhand informierten wir die umliegenden Schiffe per Funk und wechselten auf die kleinste Besegelung. Auf den letzten zehn Seemeilen vor dem Ziel, mit immer noch neun Knoten Fahrt vor dem Wind und einer im Dauerregen ausharrenden Crew segelten wir über die Ziellinie vor Cherbourg. Damit waren wir eines von 26 Schiffen aus unserer Startgruppe, das die Regatta beendete. Im Hafen wurde uns schnell ein Liegeplatz zugewiesen, und so konnten wir um 10 Uhr früh ein Mittagessen gemäß gefühlter Bordzeit mit wohlverdientem Schnaps und Wein zu uns nehmen.

Bilanz der Regatta

Zum Ende bleibt die folgende Bilanz:

  • Von 437 gemeldeten Schiffen starteten unter diesen schwierigen Bedingungen lediglich 258 Schiffe. Die Bedingungen stuften viele erfahrene Seglern als die härtesten der letzten 10 Jahre ein.
  • Der ASV und "Walross 4" belegten in der Gesamtwertungen einen stolzen 143. Platz und einen 16. Platz in der Gruppe IRC Zero!
  • Die Crew ist auf diese erbrachte Leistung mehr als stolz und hat nach dieser Reise ein tiefer gestärktes Vertrauen in unser Seeschiff, das uns zu jeder Zeit sicher vorangebracht hat.

Zur Ergebnisliste bei sailracehq.com

Wir verwenden Cookies, um die Webseite für Sie möglichst benutzerfreundlich zu gestalten. Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen: Datenschutzerklärung/Cookie-Richtlinie

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen