Geschrieben von am 9. September 2022

Von Stavanger nach Kiel

Am Vortag habe wir in Stavanger angelegt. Am folgenden Morgen ticken unterschiedliche Uhren an Bord. Wir verzichten auf ein gemeinsames Frühstück, und während die einen bis zur zweistelligen Stundenzahl in der Koje verweilen, wollen andere das Maximum aus diesem kurzen Hafentag herausholen. Man geht laufen, einkaufen, bummeln. Die Stadt Stavanger bietet eine hübsche Altstadt mit einladenden Fußgängerzonen und überdurchschnittlich vielen Uhrenläden, in denen die Heerscharen von Kreuzfahrt-Gästen ihr Taschengeld lassen. Herzstück des Ortes ist ein großartig sortierter Second-Hand-Laden. Der Berliner Crew geht das Herz auf; hier lassen wir unser Taschengeld. An der Hafenmole versuchen wir uns außerdem am Glücksspiel. Wir haben Glück; die reichen Fischgründe bescheren uns einige schöne Makrelen. Petri heil!

Mittags legt das frisch gespülte und bebunkerte große weiße Schiff ab. Wir motören in Richtung des Lysefjords. Nur einige Dutzend Meilen vor Stavanger erstreckt sich diese dramatische Landschaft. Bis zu sechshundert Meter erstreckt sie sich in die Höhe und in die Tiefe. Nicht gleichzeitig, aber nebeneinander, das sollte sich verstehen. Wir scherzen über den „Preikestolen“, einen bei landseitigen Touristen besonders beliebten Stein. Er steht da wie ein 3m-Turm am Beckenrand vom Freibad, nur viel, viel höher. Wasserfälle ergießen sich an beiden Uferseiten. Diesem Naturschauspiel huldigen wir mit Bademimik und Berliner Kindl in Dosen. Am Abend finden wir mit Hilfe freundlicher Nachbarlieger guten Ankergrund und, wie sich später herausstellt, erneut reichen Fischgrund. Petri heil!

Mit dem ersten Büchsenlicht verlassen wir die norwegischen Fjorde und machen uns auf, um erneut das Skagerrak zu queren. Ziel sollen die Schären der schwedischen Westküste sein, namentlich eine Insel namens Dürüm (oder Dyrön). Denn wer könnte dem „Beste Elektrosauna-Award 2008“ widerstehen? Wir nicht. Wenn wir die Wahl hätten. Die haben wir leider nicht.

Das alte Hoch, das uns zuvor nordwestliche Winde aufgebrummt hat, wird von einem dominanten Tiefdruckgebiet abgelöst. Wie ein irischer Kneipenschläger drischt es uns nur auf die Nase, und zwar während der gesamten Rückpassage. Der Gegenstrom an der norwegischen Küste tut ihr übliches. Unser bereits konservativ gerechnetes Routing lässt sich nicht ansatzweise halten. Wende um Wende versuchen wir, etwas Höhe gutzumachen. Schnell müssen wir auf die G4 wechseln, und die G3 ward nicht mehr gesehen. Die Sauberkeit in der Pantry, unsere Zeitplanung und nicht zuletzt die Crew leiden unter den ruppigen Bedingungen. Wir entschließen uns, Skagen anzulaufen und zu verschnaufen.

Nach einer Slalomfahrt durch die auf Reede liegenden Frachter nähern wir uns der Stadt an der dänischen Nordspitze. Zielführung: immer der Nase nach. Das Orts-Odeur wird von Bismarcks größter Errungenschaft, dem Hering, dominiert. Wir betreiben Reinigungsarbeiten an Mann und Material, Frau und Fahrzeug. Dann geht es zum Captain’s Dinner. In den Nachtstunden stromern wir durch die verlassene Fußgängerzone und lassen schließlich die letzten Reserven am koordinativ anspruchsvollen Kinderspielplatz. Die Landkrankheit bedarf schließlich Präventivmaßnahmen in Form von Karussellen und Schaukeln.

Der nächste Tag begrüßt uns mit einem gut getaktetem Programm aus Frühstück, Vorbereitungs- und Reparaturmaßnahmen, außerdem Landgang. Weil für Donnerstag Sturmwarnung gemeldet ist, wollen wir rechtzeitig in einem geeigneten Hafen liegen. Am frühen Nachmittag gehen die Festmacher los und ein, und nach einem Holeschlag scheint es so, als könnten wir erstmals in einem langen Anlieger an Laeso und Anholt vorbei in Richtung großer Belt kommen.

WERBUNG: In „Chemie des Todes“ von Simon Beckett fesselt uns der Autor, bevor er uns in seinem Kofferraum ins britische Hinterland entführt. Nach und nach werden hier seine düstersten, fauligsten Geheimnisse entpuppt. Wer seine Wache dazu bringen möchte, auch um 0400AM bei Niederschlag horizontal wieder an Deck zu schlüpfen, um die Geschichte fortzusetzen, dem sei dieses Hörbuch ans Herz gelegt. Maden, Kurzhaarfrisuren und gebräunte Oberarme – packende Unterhaltung, nicht nur für die Steuerbordwache. ENDE DER WERBUNG.

Es ist früher Nachmittag, wir befinden uns vor der Großen Belt-Brücke und die Bluetooth-Box dudelt „Ciao, Bella Ciao“. Die Wache bereitet sich zum Ausreffen vor. Dann geschieht das Unvermeidliche. Die Box hat sich aus ihrem Korsett befreit, balanciert noch kurz auf der Fußreling, bevor sie in den Fluten verschwindet. Der Wachführer überlegt kurz, doch die Box wird ihrem Schicksal überlassen. Ciao, Bella Ciao. Wenigstens wurde das angefangene Hörbuch rechtzeitig beendet. Als der Schiffer von dem Malheur erfährt, lässt seine Miene keine Zweifel. Wenn irgendetwas zwischen Ihn und Seine Crew kommen konnte, war es diese Box und ihr Gedudel. Doch zu früh gefreut: wir haben eine zweite Box dabei.

Mitten in der Nacht erreichen wir Bagenkop auf Langeland. Wir umkurven einen in der Fahrrinne verankerten Traditionssegler, dann machen wir im Hafen fest. Ein letztes Anlegekaltgetränk, dann gehen die Lichter aus. Endlich mal wieder ausgeschlafen nutzen wir den Tag, um letzte Proviantlücken zu schließen und technische und seemännische Ausbildung an Bord zu betreiben. Oder um einfach mal in den gemütlicheren Ecken des WALROSS 4 zu liegen und den Sturm Sturm sein zu lassen. Hensche sagt: „Endlich mal Ostseewetter“. Die Vorhersage für den Abend lautet "Pizza".

Am Freitag geht es mit dem letzten Schlag nach Kiel. Hoffentlich haben wir noch ein wenig Zeit, um mal mit dem Wind zu segeln. Dann wird das Schiff gereinigt, Proviant kontrolliert und die Übergabe vorbereitet. Vielleicht treffen wir ja die eine oder andere Verbands-ASVerin, von denen sich einige in Kiel aufhalten sollen.

Es fällt nicht leicht, die vergangenen Tage vor dem inneren Auge vorbei ziehen zu lassen. Das Bild ist schwammig; es waren weniger Tage und mehr Wachen. Keiner vermag mehr zu sagen, wie viele Wachwechsel, Wenden (doch: 41!), Segelwechsel, Reff-Manöver … wir hinter uns gebracht haben (fairerweise: es steht im Logbuch. Zählt halt nach…). Wahrscheinlich werden wir es bei diesem letzten Bericht belassen. Es war für alle eine lehrreiche, abenteuerliche und absolut schöne Reise. Die Crew ist trotz oder gerade wegen der Bärentour zusammengewachsen. Wir konnten uns unser Ziel, aber nicht den Wind aussuchen und haben das beste draus gemacht. Vielen Dank an den ASV, der uns solche Reisen ermöglicht. Und an Wolfgang, unseren Schiffer. Er ist eingesprungen und hat die Reise für uns gerettet.

Laufende Statistik:
1.177 NM
Wenden: Hinweg 16, Rückweg 25

Nachtrag:
Wale (Cetacea) bilden eine Ordnung der Säugetiere mit etwa 90 Arten, die ausschließlich im Wasser leben. Es werden zwei Unterordnungen unterschieden: die Bartenwale, die sich als Filtrierer von Plankton ernähren und zu denen die größten Tiere der Evolutionsgeschichte zählen, sowie die räuberisch lebenden Zahnwale, zu denen auch die Familie der Delfine gehört. Wale sind keine Fische. Wir haben einen Wal gesehen.

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